Wer im Jahr 2026 wettbewerbsfähig bleiben möchte, sollte schon jetzt die entscheidenden Hebel identifizieren. Welche Technologien prägen die Branche wirklich? Wie wandeln sich Mediennutzung und Konsumverhalten? Zwar lässt sich die Zukunft nicht exakt vorhersagen, doch erste Entwicklungen zeichnen sich deutlich ab.
Branchenexperte Thomas Peruzzi gibt einen fundierten Ausblick und analysiert fünf Schlüsselfaktoren, die im kommenden Jahr für Werbetreibende, Publisher und Agenturen besonders relevant sein werden. Zudem zeigt er, welche Kanäle an Bedeutung gewinnen und welche Optionen es für Reichweite, Identität und Datennutzung gibt.
Datenhoheit und Identität – First-Party-Strategien und Clean Rooms als Standard
Der Trend ist eindeutig: Obwohl Third-Party-Cookies noch nicht vollständig verschwunden sind, verlieren sie rapide an Relevanz. Strengere Datenschutzvorgaben, technologische Fortschritte und die sinkende Verbreitung sowie Akzeptanz bei den Usern beschleunigen diesen Rückzug deutlich. Gleichzeitig rücken First-Party-Daten immer stärker in den Mittelpunkt. Sie werden zum zentralen strategischen Asset und bilden die Basis für nachhaltiges, zukunftssicheres Targeting und Kampagnenmanagement. Unternehmen, die heute in eigene Datenökosysteme investieren und diese aktiv nutzen, schaffen damit nicht nur Compliance-Sicherheit, sondern sichern sich auch langfristige Wettbewerbsvorteile.
Parallel dazu etablieren sich Data Clean Rooms als neue Infrastruktur für eine datenschutzkonforme Zusammenarbeit. Sie ermöglichen es, Daten zwischen Partnern sicher zu analysieren, ohne sie direkt zu teilen. So schaffen sie Vertrauen und Transparenz bei gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre. Insbesondere im Zusammenspiel mit Publishern, Agenturen und Technologiepartnern wird dieser Ansatz künftig Standard sein.
Gleichzeitig gewinnen alternative Identifier an Bedeutung, da sie es ermöglichen, Datenschutz und zielgerichtete Werbung in Einklang zu bringen. Hierzu gehören einerseits login-basierte Lösungen wie die netID, die auf Publisher-First-Party-Daten und explizite Nutzerzustimmung beruhen. Zum anderen gibt es Ansätze wie Utiq, die über ein telekommunikationsbasiertes Privacy-Gateway arbeiten und erst nach klarer Einwilligung der Nutzenden aktiviert werden. Ergänzend dazu werden kontextuelle Methoden wie Seitenkategorien, semantisches Matching oder Content-Klassifizierungen immer relevanter. In diesem Kontext gewinnen auch hybride Identity-Lösungen an Bedeutung. Die Zukunft liegt nicht in einem einzigen Identifier, sondern in interoperablen Ansätzen. Diese müssen kanalübergreifend funktionieren, flexibel einsetzbar sein und den regulatorischen Anforderungen gerecht werden.
Genau hier setzen Lösungen wie das „AnyID Frequency Capping” von Virtual Minds an. Unsere bisherigen Erfahrungen mit diesem Ansatz sind sehr positiv und die Ergebnisse stehen ganz im Interesse der Advertiser. Es ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie sich Reichweite kanalübergreifend steuern und Frequenz effizient managen lässt und das auf eine datenschutzkonforme, identifikationsagnostische und zukunftssichere Weise.
KI wird Alltag – Vom kreativen Co-Pilot zum Performance-Garant
Künstliche Intelligenz, insbesondere in ihrer generativen Ausprägung, entwickelt sich vom Innovationsfaktor zum Standard. Was vor wenigen Jahren noch experimentell war, ist heute fester Bestandteil kreativer Arbeitsabläufe, technischer Optimierungen und datengetriebener Entscheidungen.
Im AdTech-Kontext treibt KI-Automatisierung, Effizienz und Echtzeitfähigkeit voran. Ob bei der dynamischen Kampagnenoptimierung, der Erkennung von Anomalien oder im Predictive Modeling: Intelligente Systeme übernehmen zunehmend Aufgaben, die bislang manuell, reaktiv oder mit hohem Ressourcenaufwand verbunden waren.
Gleichzeitig verschiebt sich die Norm im kreativen Bereich. Die Text-, Bild- und Videogenerierung durch KI-Modelle wird integraler Bestandteil der Content-Produktion. Dies eröffnet neue Potenziale für die Personalisierung und Skalierung von Kampagnen.
Die zunehmende Normalisierung von KI bedeutet aber keine Stagnation. Ganz im Gegenteil. Die Frage der Zukunft lautet nicht mehr ob, sondern wie wir KI effizient, sicher und ethisch einsetzen. Für die AdTech-Branche wird es entscheidend sein, das Potenzial dieser Technologie nicht nur technisch, sondern auch strategisch und verantwortungsvoll auszuschöpfen.
"AnyID Frequency Capping" wurde im Markt sehr gut angenommen. Es ist klar erkennbar, dass dafür eine starke Nachfrage besteht.
Thomas Peruzzi, Sprecher der Geschäftsführung, Virtual Minds
Attention as a Currency – Vom Klick zur Qualität der Aufmerksamkeit
Viewability war gestern: ab 2026 wird Attention zur neuen KPI. „Attention“, also die tatsächliche Dauer, Intensität und Qualität der Werbebetrachtung, entwickelt sich zur neuen Währung im AdTech-Ökosystem. Denn eine sichtbare Ad-Impression sagt noch nichts darüber aus, ob die Botschaft überhaupt wahrgenommen oder emotional bzw. kognitiv verankert wurde.
Immer mehr Werbetreibende und Agenturen hinterfragen daher rein quantitative Metriken. Sie setzen stattdessen auf Aufmerksamkeitsmodelle, die Faktoren wie Sichtbarkeitsdauer, Bildschirmpräsenz oder Interaktionswahrscheinlichkeit bewerten. Mithilfe neuer Technologien und KI-gestützter Analysen wird diese Aufmerksamkeit messbar und vergleichbar – kanalübergreifend, in Echtzeit und im Kontext der User Journey.
Das Ziel ist klar: Werbebudgets sollen effizienter eingesetzt, kreative Assets datenbasiert optimiert und Werbung wieder als Erlebnis gestaltet werden. Für Publisher und Technologieanbieter ergibt sich daraus ein klarer Auftrag. Inventar, das nachweislich Aufmerksamkeit erzeugt, gewinnt an Wert, unabhängig davon, ob es sich um Video, CTV, Display oder innovative Formate wie In-Game-Advertising handelt.
Regulierung als Game-Changer – Wenn Compliance zum Wettbewerbsvorteil wird
Die Anzeichen verdichten sich, dass 2026 das Jahr werden könnte, in dem die EU stärker in die Adtech-Branche eingreift. Mit dem Digital Services Act und der DSGVO existieren bereits zentrale Regulierungen. Experten gehen jedoch davon aus, dass weitere, spezifischere Vorgaben folgen werden. Diese werden direkte Auswirkungen auf Werbetechnologien, Datenverarbeitung und automatisierte Ausspielung haben.
Welche Akteure konkret betroffen sein werden, ist derzeit noch offen. Sicher ist jedoch, dass die Auswirkungen je nach Geschäftsmodell, Plattformrolle und Datennutzung unterschiedlich stark ausfallen. Während große Gatekeeper stärker in den Fokus rücken dürften, ist noch unklar, wie granular die Anforderungen für kleinere Anbieter, Agenturen oder spezialisierte Plattformen ausfallen werden.
Die Regulierung wird sich voraussichtlich um zentrale Themen wie Transparenz, Datenhoheit und fairen Marktzugang drehen. Besonders datengetriebenes Targeting und Profiling, insbesondere bei sensiblen Nutzergruppen, stehen bereits heute unter Beobachtung. Was jetzt noch abstrakt erscheint, könnte schon bald konkrete Auswirkungen auf das Tagesgeschäft haben: von veränderten Reportingpflichten über neue Governance-Standards bis hin zu Einschränkungen bei Targeting-Modellen. Wer frühzeitig antizipiert und regulatorische Entwicklungen strategisch mitdenkt, kann nicht nur Risiken minimieren, sondern auch neue Marktchancen identifizieren.
Media Mix Modeling 2.0 – Von rückblickender Analyse zur Echtzeit-Attribution
Die Zeit der eindimensionalen Attribution neigt sich dem Ende zu. Das klassische Last-Click-Modell, das über Jahre hinweg die Bewertung der Werbewirkung dominierte, verliert zunehmend an Bedeutung. An seine Stelle treten komplexere, automatisierte Formen des Media-Mix-Modellings (MMM). Diese berücksichtigen kanalübergreifende Zusammenhänge und ermöglichen fundierte Aussagen über die Effektivität einzelner Marketingmaßnahmen und das auf datenschutzkonforme Weise.
Technologische Fortschritte, insbesondere im Bereich sogenannter Clean Rooms und datensicherer Kollaborationsumgebungen, treiben diese Entwicklung maßgeblich voran. Die Möglichkeit, aggregierte Daten aus verschiedenen Quellen modellbasiert zu analysieren, schafft neue Transparenz, ohne dass personenbezogene Daten offengelegt werden müssen. So verbessert sich sowohl die Analysequalität als auch der Datenschutz.
Media-Mix-Modeling entwickelt sich somit von einem retrospektiven Planungsinstrument zu einem strategischen Steuerungstool für Echtzeit-Optimierungen. Werbebudgets lassen sich auf dieser Basis präziser, evidenzbasierter und regulatorisch abgesicherter einsetzen. In einer zunehmend fragmentierten Medienlandschaft ist das die Voraussetzung für nachhaltigen Werbeerfolg.
Programmatic TV – Demokratisierung durch Reichweite und Relevanz
Die zunehmende programmatische Erschließung von klassischem TV-Inventar verändert die Balance im digitalen Werbemarkt grundlegend. Was einst fest im linearen Umfeld verankert war, wird durch technologische Fortschritte zunehmend Teil programmatischer Buchungslogiken. Hierzu zählen Targeting, Frequency Management und Echtzeit-Optimierung.
Dieser Wandel wirkt sich nicht nur auf das TV-Ökosystem selbst aus, sondern hat auch direkte Konsequenzen für das offene Web. Denn je mehr hochwertiges, aufmerksamkeitsstarkes TV-Inventar programmatisch handelbar wird, desto mehr Volumen, Qualität und Relevanz erhält auch das offene Web. Die dadurch entstehende Reichweiten- und Qualitätssteigerung macht programmatische Umfelder im direkten Vergleich mit geschlossenen Plattform-Ökosystemen für Werbetreibende attraktiver.
Programmatic TV fungiert somit als Brücke zwischen traditionellen Medien und digitaler Werbung. Es leistet zugleich einen strukturellen Beitrag zur Demokratisierung des digitalen Marktes. Das Open Web wird dadurch gestärkt, da es in Reichweite, Planbarkeit und Datenlogik zunehmend mit den „Walled Gardens” konkurrieren kann. Langfristig entsteht so ein gesünderes Gleichgewicht zwischen offenen und geschlossenen Werbewelten, was Markenvielfalt, Transparenz und Wettbewerb zugutekommt.
Als „Walled Gardens” werden geschlossene digitale Ökosysteme großer Tech-Anbieter wie Google, Meta Platforms oder Amazon bezeichnet. Innerhalb dieser Umgebungen werden Inhalte, Nutzerdaten und Werbeplätze vollständig kontrolliert. Externe Partner erhalten keinen direkten Zugriff auf sensible Kundendaten, können aber weiterhin zielgerichtete Werbung innerhalb des Systems ausspielen.
Ausblick: Gestalten statt reagieren
Die Adtech-Branche steht im Jahr 2026 erneut an einem Wendepunkt. Identität, KI, Aufmerksamkeit und Regulierung sind die Eckpfeiler dieses sich dynamisch weiterentwickelnden Marktes. Wer diese Phase als Chance begreift, kann heute die Standards von morgen mitgestalten, sei es durch datenschutzkonforme Partnerschaften, durchdachte Technologieintegration oder eine klare Haltung zu Transparenz und Innovation.
Ob es der Branche gelingt, Komplexität in Skalierung und Fragmentierung in Zusammenarbeit zu übersetzen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Fest steht: Zukunftssicherheit entsteht dort, wo Technologie, Strategie und Verantwortung nicht getrennt, sondern bewusst zusammengedacht werden. Wer diesen Dreiklang beherrscht, kann nicht nur reagieren, sondern auch gestalten.