Warum erinnern wir uns an manche Werbespots noch Jahre später, während andere sofort in Vergessenheit geraten? Die Antwort liegt nicht nur in der Kreativität der Werbung selbst, sondern vor allem im Kontext, in dem wir Medien konsumieren. Die Screenforce-Studie “Into the Wild” wirft einen Blick hinter die Kulissen unseres Medienverhaltens und untersucht, wie Werbung unter realen Bedingungen wirkt. Die Ergebnisse liefern klare Hinweise darauf, welche Plattformen die höchste Aufmerksamkeit auf sich ziehen und nachhaltige Werbeerinnerung schaffen – und warum klassische Kanäle trotz digitaler Konkurrenz weiterhin die Nase vorn haben.
Um die Werbewirkung zu vergleichen, konzentrierte sich die Studie auf fünf zentrale Kanäle: TV, BVoD (Broadcast Video on Demand, z.B. Mediatheken von TV-Sendern), YouTube, Instagram und TikTok. Im Gegensatz zu herkömmlichen Laborsettings, in denen Werbewirkung meist unter standardisierten Bedingungen gemessen wird, analysierte „Into the Wild“ das Verhalten der Testpersonen in ihrem gewohnten Umfeld.
Alltagsnahe Bedingungen und moderne Messmethoden
Die Studienteilnehmer hatten dabei die Freiheit, ihre Mediennutzung selbst zu gestalten, da lediglich die Plattformen und die genutzten Endgeräte vorgegeben waren. Nebentätigkeiten wie die Nutzung eines Second Screens waren erlaubt und Werbung konnte durch Umschalten, Überspringen oder Weiterscrollen umgangen werden, was eine realistische Abbildung des natürlichen Medienkonsums ermöglichte.
Die Aufmerksamkeit der Testpersonen wurde mit Hilfe einer Eye-Tracking-Brille erfasst, die das Blickverhalten genau aufzeichnete. Zusätzlich wurde der Hautleitwert gemessen, um das Erregungsniveau zu bestimmen. Die Geräte wurden den Teilnehmenden nach Hause geschickt, technische Fragen konnten bequem online geklärt werden. Diese dezentrale Methode ermöglichte eine hohe Teilnehmerzahl und minimierte Verhaltensverzerrungen, die durch die Anwesenheit von Forschenden entstehen können.
Studiendesign und Datenerhebung
An der Studie nahmen 190 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teil, die nach ihrem Mediennutzungsverhalten in fünf Gruppen eingeteilt wurden. Dabei spielten Plattformpräferenzen, Nutzungsintensität und demografische Merkmale eine Rolle. Insgesamt wurden innerhalb der Studie 256 Mediennutzungssessions mit 4.139 Werbekontakten dokumentiert, davon 3.486 Video-Werbekontakte. Die Fokussierung auf Bewegtbildwerbung bzw. Werbespots ermöglichte eine bessere Vergleichbarkeit der verschiedenen Plattformen.

Plattformspezifische Einblicke in Nutzungsmuster und Werbewirkung
Werbehäufigkeit: Unterschiede bei der Anzahl der Spots
Es wurde detailliert erfasst, wie viele Werbekontakte die Probanden innerhalb einer Stunde auf den fünf Medienkanälen hatten. Als Werbekontakt galt jede Form von ausgestrahlter Werbung – unabhängig von der Betrachtungsdauer. Im TV wurden neben klassischen Werbespots auch Sponsorings und Sonderwerbeformen berücksichtigt. Bei den Social-Media-Kanälen zählte alles als Werbung, was kennzeichnungspflichtig ist.
Die Anzahl der ausgestrahlten Werbespots variierte stark. Instagram übertraf aufgrund des schnellen Scrollens und einer resultierenden Vielzahl an Werbeeinblendungen alle anderen Plattformen mit 44 Werbekontakten pro Stunde – fast doppelt so viele wie TV (27) und deutlich mehr als YouTube und TikTok (je 24). BVoD (18) wies mit Abstand die geringste Werbedichte auf.
Auf YouTube (bei Nutzung auf dem Smartphone) und Instagram begegneten den Nutzern neben Video-Ads auch statische Werbeformate, wie beispielsweise gesponsorte Postings in Form von Bildern. Um eine faire Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden die Kontakte mit statischen Ads herausgerechnet, wodurch sich der gemessene Ad Load bei YouTube um 9 und bei Instagram um 17 statische Ads reduziert. Nach dieser Bereinigung weist YouTube die geringste Anzahl an Video-Ads auf, während Instagram in diesem Bereich mit TV gleichzieht.

Werbeerinnerung: Klassische Kanäle haben die Nase vorn
Da die Teilnehmenden die Medienkanäle frei nutzen konnten und die Werbekontakte auf natürliche Weise zustande kamen, waren die Möglichkeiten zur Erhebung der Werbewirkung begrenzt. Aus diesem Grund konnte die Werbeerinnerung nur ungestützt erhoben werden. Um die Richtigkeit der Antworten zu überprüfen, wurden diese mit den Videoaufzeichnungen der tatsächlich erlebten Werbekontakte abgeglichen. Auf diese Weise konnte für jeden Kanal analysiert werden, an wie viele beworbene Marken sich eine Person im Durchschnitt richtig erinnerte.
Die Auswertung zeigte deutliche Unterschiede zwischen den Kanälen: Im Fernsehen wurden durchschnittlich 2,7 Marken pro Person richtig erinnert, im BVoD waren es 2,1. In den anderen Kanälen lag der Wert unter einer Marke.
Die Anzahl der richtig erinnerten Marken gibt einen ersten Hinweis auf die unterschiedliche Werbewirkung der Kanäle. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Anzahl der gezeigten Marken je nach Kanal variierte. So war beispielsweise der Ad Load im Fernsehen höher als auf YouTube, was zu mehr Markenkontakten führte.
Setzt man die korrekten Markenerinnerungen in Relation zur Anzahl der gezeigten Marken, ergibt sich ein eindeutiges Bild: Der BVoD weist mit 20 Prozent den höchsten Anteil korrekt erinnerter Marken auf. Es folgen TV mit 13 Prozent und YouTube mit 9 Prozent. Die Social-Media-Kanäle schneiden deutlich schlechter ab – Instagram liegt bei nur 1 Prozent, TikTok bei 3 Prozent.
Neben der Markenerinnerung zeigen sich auch bei der Erinnerung an Werbedetails und der Steigerung des Produktinteresses deutliche Unterschiede. Hier schnitten TV und BVoD am besten ab. Hier erinnerten sich die Befragten nicht nur am besten an Details aus der Werbung, sondern zeigten auch das höchste Interesse an den beworbenen Produkten.

Aufmerksamkeit: TV und BVoD mit den besten Werten
TV- und BVoD-Werbung bleibt deutlich besser in Erinnerung als Werbung auf anderen Kanälen – ein Effekt, der durch Aufmerksamkeits- und Aktivierungsmessungen während der Nutzungssessions bestätigt wird. Werbespots auf diesen Plattformen waren nicht nur länger sichtbar, sondern wurden auch mit deutlich höherer Aufmerksamkeit betrachtet als auf anderen Kanälen.
Besonders hervorzuheben ist hierbei BVoD: Hier verweilten die Blicke der Testpersonen durchschnittlich knapp 20 Sekunden auf dem Spot, im Fernsehen waren es 15 Sekunden. YouTube liegt im Mittelfeld, während die Aufmerksamkeitsspanne bei den beiden Social-Media-Kanälen mit rund 2 Sekunden sehr kurz war. Das Zeitfenster für die Vermittlung relevanter Informationen ist auf diesen Plattformen also stark begrenzt.
Die Eye-Tracking-Daten zeigen auch, wie lange bestimmte Elemente der Werbung – wie etwa das beworbene Produkt – betrachtet wurden. Auch hier haben TV und BVoD einen klaren Vorteil, da der Blick länger auf dem Produkt verweilt. Ähnliche Muster zeigen sich bei der Wahrnehmung von Markenlogos: BVoD und TV erzielen die höchste Aufmerksamkeit und bleiben damit auch bei der Werbewirkung führend.


Implikationen für die Werbeplanung: Strategien für maximale Wirkung
Die Studie „Into the Wild“ zeigt: Trotz der Dominanz digitaler Plattformen behaupten sich TV und BVoD als effektivste Werbeträger. Ihre Stärken liegen in der längeren Aufmerksamkeitsspanne, der höheren Werbeerinnerung und der emotionalen Aktivierung – Faktoren, die bei Social Media aufgrund des fragmentierten Nutzungsverhaltens oft zu kurz kommen. Diese Vorteile lassen sich auf die sogenannte Lean-Back-Rezeption zurückführen: Zuschauerinnen und Zuschauer konsumieren Inhalte hier häufig entspannter und konzentrierter, was eine intensivere Auseinandersetzung mit den gezeigten Werbebotschaften ermöglicht. Der größere Bildschirm und die hohe visuelle Qualität verstärken diesen Effekt zusätzlich.
Demgegenüber steht ein anderes Nutzungsverhalten in Social Media. Die fragmentierte, schnelle Interaktion und die hohe Werbedichte führen zu kürzeren Aufmerksamkeitsspannen und geringerer Markenbindung. Gerade auf Plattformen wie Instagram und TikTok wird Werbung oft im Vorbeigehen wahrgenommen, was die Verankerung der Marke im Gedächtnis erschwert.